American Energy – Welchen Preis zahlen die USA für ihren Frackingboom?
Die USA haben sich durch Öl- und Gasförderung im eigenen Land energiepolitisch mittlerweile unabhängig gemacht, produzieren sogar Überschuss. Vor allem die Erdgasressourcen verbergen sich dort in tiefen Gesteinsschichten unter der Erde, die Methode ihrer Förderung ist umstritten: Fracking. In „Amity and Prosperity – One Family and the Fracturing of America“ erzählt Eliza Griswold die Geschichte einer Familie und ihres Kampfes gegen Fracking im US-Bundesstaat Pennsylvania.
Immer wenn man denkt, mehr geht nicht, legt Donald Trump noch eine Schippe drauf. Bei aller notwendigen Kritik an der Politik der USA in den letzten Jahrzehnten war das Land doch zumindest für uns Europäer immer ein Stabilitätsanker und verlässlicher Bündnispartner gewesen. Für viele Menschen – in Lateinamerika, im Nahen Osten, Afghanistan – war das natürlich anders. Aber: Auch wenn man die US-Außenpolitik unter so „normalen“ Präsidenten wie Nixon, Reagan oder den Bushs hart kritisieren muss, sehnt man sich doch heute fast schon in diese vergangenen Zeiten zurück. Müßig ist es zu erörtern, ob Trump erratisch handelt oder das Polarisieren zu einer gewieften Strategie gehört, um das Land in eine bestimmte Richtung zu lenken. Denn was ändert das schon? Kaum zu glauben, dass George W. Bush uns mal als worst president ever galt. Oder dass sich Obama wegen seiner Drohnenkriege „entzauberte“.
Natürlich war die Kritik berechtigt, aber sie war eher solcher Art, wie man einen großen Bruder kritisiert. Schließlich waren doch sonst die USA auch in allen Belangen Vorbild, gerade und leider in ihrer turbokapitalistischen Lebensweise und (Finanz-) Wirtschaft, aber auch auf kulturellem Gebiet. Die härtesten Kritiker der USA müssen anerkennen, dass diese kulturelle Dominanz immer noch universell ist und sich ihr niemand entziehen kann. Selbst die amerikanische Gegenkultur – 68er, Bürgerrechtsbewegung, Antikriegsbewegungen – waren uramerikanisch, demonstrierten für das Gute im American Dream.
Kam Barack Obama zu früh an die Macht, wie er selbst mal sagte? War die amerikanische Gesellschaft mit ihren ungelösten Problemen wie der Diskriminierung von Minderheiten noch nicht bereit für einen schwarzen, liberalen Präsidenten, und polarisierte sie sich gerade deshalb so extrem in den letzten Jahren? Warum verfing Trumps Botschaft bei so vielen Menschen?
Trumpland
Trumps Wahlsieg 2016 wurde ausgiebig analysiert. Auch wenn das spezielle Wahlsystem der USA ihm gegenüber Hillary Clinton zweifelhafte Vorteile verschafft hatte, konnte er doch neue Wählerschichten gewinnen. Punkten konnte er bei älteren und vor allem weißen Wählern. Darunter viele Wähler aus Industrieregionen in Ohio, Michigan oder auch Pennsylvania, deren beste Tage vorbei sind. Pennsylvania zum Beispiel ist ein klassischer Swing State, immer hart umkämpft, meistens jedoch gewannen dort die Demokraten. Diesmal war es anders. Aber warum?
Anstatt nur soziologisch aufschlussreiche Statistiken zu bemühen, lohnt sich ein Blick auf typische Biografien der Menschen aus dem Hinterland Amerikas. Der Autor J.D. Vance hat ein viel beachtetes Buch über seine Herkunft geschrieben und damit denjenigen Menschen ein Denkmal gesetzt, die sich selbst liebevoll „Hillbillies“ nennen – eigentlich eine abschätziges Bezeichnung, die Leute benutzen, die sich für etwas Besseres halten. In „Hillbilly Elegy“ beschreibt Vance den Teufelskreis der Armut und die Hoffnungslosigkeit in seiner Heimatregion Virginia, zeigt den täglichen Frust der Arbeitslosen, die nichts mehr zu verlieren haben und nichts mehr von den „korrupten“ Eliten in Washington erwarten. Deren Personifizierung war nun mal „crooked Hillary“, wie Trump sie nannte. George Packers Buch „Die Abwicklung“ erschien bereits 2013, gibt aber auch einen sehr guten Einblick zur Pre-Trump-Zeit und zum Niedergang des einfachen Amerikas von den 1970er Jahren an. Dadurch erfahren wir auch, was den Aufstieg Trumps möglich machte. Packers Buch, eine biografische Zusammenstellung mehrerer Amerikaner, endet mit der Finanzkrise, die so viele Menschen in den USA in die Verschuldung und in die Obdachlosigkeit getrieben hat. Alles Menschen, die sich mal als Teil der Mittelklasse bezeichnen konnten und einen relativ hohen Lebensstandard genossen. Vielleicht hatten sie sich gerade aufgerappelt, stehen nun aber schon wieder für Lebensmittelhilfen an, diesmal wegen Trumps katastrophalen Krisenmanagements in der Pandemie. Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Opioidkrise und Drogensucht, Polizeibrutalität gegen Afroamerikaner und die darauf folgenden Unruhen, schwerbewaffnete Milizen- das alles ist natürlich nicht nur Trump anzulasten. Aber er lässt es sich nicht nehmen, genüsslich Öl ins Feuer zu gießen.
Fracking USA
In Eliza Griswolds 2018 erschienenen Buch „Amity and Prosperity – One Family and the Fracturing of America“ geht es um Trump nur am Rande, und doch liegt sein Schatten über allen Ereignissen. Schauplatz dieser dokumentarhaften Erzählung sind zwei Kleinstädte mit dem klangvollen und für die Geschichte so passenden Namen Amity und Prosperity, gelegen im Bundesstaat Pennsylvania. Diese Region liegt im so genannten „Rust Belt“, wo sich der Niedergang der USA in den letzten Jahrzehnten wie unter einem Brennglas beobachten ließ. Hier florierten Bergbau und Schwerindustrie bis in die 1970er Jahre hinein. Kohle und Stahl verhalfen der Bevölkerung zu einem soliden Lebensstandard. Dann schlug die Logik des Kapitals, möglichst billig zu produzieren, eiskalt zu. Die Jobs wanderten in die Billiglohnländer in Fernost ab. Mit der Arbeitslosigkeit kamen Armut, Frust und der tiefsitzende Zweifel, ob der amerikanische Traum und seine Prophezeiungen überhaupt noch Gültigkeit haben.
Dann ein Hoffnungsschimmer, zumindest für die Region: Fracking betritt die Bühne. Beim Fracking wird Erdgas (oder Erdöl) mit Hilfe des Einsatzes von Chemikalien aus den tieferen Gesteinsschichten der Erde heraus gepresst – eine umstrittene Fördermethode, die unter anderem wegen der Verseuchung von Grundwasser durch den Chemiecocktail in der Kritik steht. Die Folgen für Gesundheit und Umwelt scheinen schädlich zu sein, die Methode wird daher seit langem heftig und kontrovers diskutiert. Wie immer, wenn neue Techniken die Bühne betreten, wissen wir anfangs zu wenig über mögliche Folgen. Trotzdem verbietet Deutschland diese Fördermethode zunächst. Ein Moratorium besteht hier bis heute, läuft allerdings nächstes Jahr aus.
In den USA wird unterdessen gefrackt, was die Erde her gibt. Im Nordosten des Landes wird das Marcellus-Gasfeld entdeckt, das größte Schiefergasfeld der USA. Es erstreckt sich größtenteils über die Staaten Pennsylvania und New York. Die USA fördern mittlerweise so viele Erdgas, dass sie energiepolitisch völlig unabhängig geworden sind, zum Leidwesen der Ölfördernden arabischen Staaten und des Ölpreises. Das passt natürlich in Trumps America-first-Ideologie, wozu es gehört, sich besonders eifrig für die einheimischen Energieunternehmen einzusetzen. Umweltregularien wurden unter Trump bis zur Schmerzgrenze kassiert, um die Förderung von Rohstoffen zu erleichtern.
Mit der Entdeckung des Marcellus-Gasfeldes beginnt auch der Frackingboom in Pennsylvania, die Gasindustrie macht sich in der Region breit. Sie sorgt nicht nur für Jobs, sondern zahlt den Menschen hohe Summen dafür, dass sie Gas von deren Land fördern dürfen. Eliza Griswold dokumentiert diese Entwicklung, begleitet eine Familie und ihr Umfeld über sieben Jahre und beschreibt eindrücklich die Folgen, die diese Industrie und Fördermethode ins Land bringt: Die Natur leidet, die Gemeinschaften zerbrechen, die Gesundheit vieler Menschen wird ruiniert. Griswold hat für das Buch 2019 den Pulitzerpreis für Non-Fiction bekommen. Sie hat ihn verdient – in einer klaren, manchmal poetisch anmutenden Sprache erzählt sie von den Ereignissen und dem David-gegen-Goliath-artigen Kampf der Familie um Stacey Haney gegen ein Frackingunternehmen namens Duke Energy.
Stacey Haney war ursprünglich gar keine Gegnerin von Fracking. Im Gegenteil – auch sie least ihr Land an Duke Energy, um ihr bescheidenes Gehalt als Krankenschwester aufzubessern. Allerdings tauchen in der Familie bald schwere gesundheitliche Probleme auf. Vor allem ihr heranwachsender Sohn Harley leidet unter Atemnot und Kopfschmerzen, ist sogar zunehmend in seiner körperlichen Entwicklung beeinträchtigt. Bei Nachbarn das gleiche Bild. Stacey beginnt nachzuforschen. Sie vermutet schnell, dass die Probleme mit dem Fracking in der Gegend zusammenhängen, dass das Grundwasser durch Chemikalien verseucht ist. Sie sucht den Kontakt zu Duke Energy, die das erwartungsgemäß abstreiten. Da Haney keinerlei Unterstützung, weder von der Firma noch von den Umweltbehörden, erfährt, ist sie gezwungen, selber zur Expertin zu werden. Sie recherchiert Zusammensetzung und Bestandteile des Chemiecocktails, der in die Erde verpresst wird, um das Erdgas nach oben zu fördern. Zunehmend gewinnt sie Klarheit über die Toxizität der einzelnen Substanzen, konfrontiert dann immer wieder Duke Energy mit ihren Erkenntnissen. Damit isoliert sie sich allerdings auch zunehmend in der Nachbarschaft. Die meisten Menschen dort haben ihr Land an Duke geleast und sind froh über die teilweise hohen Einnahmen, die sie dadurch nun erzielen. Es entsteht ein Riss in der Gemeinschaft. Haney bleibt dran, erringt immer wieder kleine Teilsiege gegen Duke. Dass vor allem der schlechte Gesundheitszustand ihres Sohnes mit der Verseuchung des Wassers zusammen hängt, ist schließlich irgendwann nicht mehr abzustreiten. Duke muss ihr einen Wassertank zur Verfügung stellen. Es wird etwas besser für die Haneys, doch auch die Luft ist verseucht, was sie schließlich dazu zwingt, die Farm zu verlassen.
Für Griswold ist es erwartungsgemäß nicht so einfach,einen eben so offenen Zugang zu Duke Energy zu gewinnen, wie zu den Haneys und befreundeten Familien, die ähnliche Probleme haben und nicht über die Öffentlichkeit und die Mittel von Duke Energy verfügen, um sich zu wehren. Trotzdem liefert sie interessante Einblicke in die Taktik der Frackingindustrie, zum Beispiel zur Strategie der „Counter Intelligence“ und Desinformation, die Energieunternehmen in Orten anwenden, wo sie fracken und Gegenwind erwarten können. Dabei setzen sie Personen und Taktiken ein, die Teil der Strategie der US-Armee in Irak und Afghanistan ist, nämlich die eigenen Botschaften an kritische oder feindlich gesinnte Bevölkerungsgruppen zu vermitteln. Das Drehbuch entstammt dem Handbuch für Kriegstaktik und Propaganda und wird von amerikanischen Unternehmen im eigenen Land angewendet.
Duke Energy hat sich mittlerweile strategisch geschickt und öffentlichkeitswirksam in der Region eingenistet. Es tritt als spendierfreudiges Unternehmen auf, ist der wichtigste Arbeitgeber in einer von Arbeitslosigkeit geprägten Region, sponsort Feste und verteilt Geschenke. Die Vorwürfe der Umweltverschmutzung streitet das Unternehmen ab, übernimmt keine Verantwortung für Gesundheitsschäden. Die Umweltbehörden – von regionalen Behörden bis hin zur nationalen Environmental Protection Agency – machen keine gute Figur, sie agieren langsam und verteidigen das Unternehmen. Schließlich findet Haney zwei Anwälte, die den Kampf gegen den übermächtigen Gegner mit seinem Heer an Staranwälten und politischen Fürsprechern aufnehmen und vor Gericht ziehen. Dort erweist es sich allerdings, wie so oft, als unmöglich, eine Kausalität zwischen den direkten Unternehmensaktivtäten und den gesundheitlichen Problemen einzelner Menschen nachzuweisen. Die Geschichte erinnert damit an bekannte Fälle, in denen Unternehmen ihre Verantwortung leugneten und sich (oft auch mit geringen Entschädigungszahlungen und Vergleichen vor Gericht) davon stehlen konnten. „A Civil Action“ von Jonathan Harr oder „Toms River“ von Dan Fagin kommen einem in den Sinn. In beiden Fällen versuchen Anwälte verschiedene Unternehmen für toxische Verschmutzungen zur Verantwortung zu ziehen. In Toms River stieg die Zahl von Krebsfällen bei Kindern in einer Gemeinde in New Jersey plötzlich überdurchschnittlich an. Eine toxische Verschmutzung des Grundwassers durch chemische Unternehmen konnte daraufhin zwar nachgewiesen werden, ein direkter Zusammenhang zwischen der Verschmutzung und den konkreten Krebsfällen ließ sich jedoch nie lückenlos herstellen.
Auch bei Griswold entwickelt sich ein zäher Stellungskampf zwischen den Haneys und Duke Energy. Währenddessen versucht Griswold immer wieder mit viel Empathie die Menschen, ihre Hoffnungen und Träume in der Ära Trump einzuordnen. Es gelingt ihr gut, sich in die Menschen einzufühlen, ihre Sorgen und Nöte zu beschreiben. Sie zeigt dabei, dass viele Menschen nicht unbedingt Trumpisten sind, sondern sich einfach nur abgehängt fühlen, dem Staat nicht mehr trauen. Eigentlich paradox: Die vom Fracking profitieren, wählen Trump, denn endlich geht es wieder vermeintlich aufwärts, weil er so wenig Staat wie möglich will. Denen es dabei schlecht geht, wählen ihn, weil sie Veränderung wollen, sich von den Behörden verlassen fühlen.
Und in Deutschland?
Für politische Wählereinstellungen kann man Fracking hier bisher nicht mitverantwortlich machen, obwohl es auch genügend Menschen gibt, die sich abgehängt sehen oder um ihren Lebensstandard fürchten, die Gesellschaft ist auch hier zunehmend polarisiert. Fracking ist noch wegen Umwelt- und Gesundheitsbedenken verboten, mit Ausnahmen für Forschungszwecke. Allerdings läuft das derzeitige Moratorium bald aus und neue Diskussionen über ein Für und Wider eines endgültigen Verbotes haben begonnen. 2021 soll entschieden werden, wie es weiter geht. Kritiker des Frackings befürchten mindestens eine Aufweichung des Verbots. Auch aus klimapolitischen Erwägungen heraus spricht einiges für ein Verbot – Erdgas hat einen hohen Anteil an Methan.
Trump möchte unterdessen den Überschuss des gefrackten Erdgases als Flüssiggas nach Deutschland exportieren. Ihm im Wege steht dabei die North Stream Pipeline. Trump kritisiert vehement den Bau der Pipeline, macht sie Deutschlands Energiesicherheit doch von Putins Russland abhängig, mit dem er momentan eher eine off- als on-Beziehung unterhält. Deutschland ist dadurch mal wieder zwischen den Interessen dieser zwei autoritär regierten und mittlerweile unberechenbaren Großmächte eingekeilt. Irgendwie muss hier eine machtpolitische Balance gefunden werden. Vielleicht sollte Deutschland nach dem beschlossenen Kohleausstieg, der im übrigen viel zu spät kommt, auch bei Erdgas den Deckel drauf machen, und lieber selber Gas bei der Energiewende geben. Allein aus klima- und umweltpolitischen Erwägungen gehören diese veralteten Energien mitsamt ihren schädlichen Fördermethoden auf das Abstellgleis der Geschichte.
Eliza Griswold: „Amity and Prosperity – One Family and the Fracturing of America“. Wildfire 2019.