„People trying to solve problems created by people trying to solve problems“ – Elizabeth Kolbert sucht Antworten auf den Klimawandel

„People trying to solve problems created by people trying to solve problems“ – Elizabeth Kolbert sucht Antworten auf den Klimawandel

Mitten im Anthropozän forschen die Menschen nach Lösungen für Probleme, die sie selbst angerichtet haben. Kann der Mensch sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen?

Klimawandel und Artensterben sind die großen Themen von Elizabeth Kolbert. Mit ihrem Buch „Das sechste Sterben“ hat sie eine beeindruckende und erschreckende Geschichte des Artensterbens geschrieben. Für das Buch wurde sie zu Recht mit dem Pulitzerpreis geehrt. Das Buch schafft es, zugleich wissenschaftliches Fachbuch und populäres Sachbuch zu sein. Im Stil der Wissenschaftsreportage bringt sie uns den Stand der Forschung näher, bleibt dabei in sachlich-nüchternem Ton, vermag dabei aber auch aufzurütteln. Irgendwas geht extrem schief auf der Welt, und Kolbert ist die Chronistin der Katastrophe.

Chefanklägerin

Obwohl sie journalistische Distanz hält, sind ihre Schriften Anklagen gegen den Menschen. Das sechste Artensterben – nach dem Aussterben der Dinosaurier befinden wir uns mittendrin – geht diesmal klar auf das Konto des Menschen. Im Anthropozän sorgt der Mensch für das massive Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, weil er Natur und Klima verändert und dabei zerstört.

Um den Klimawandel geht es auch in ihrem neuen Buch: In „Under a White Sky – The Nature of the Future“ sucht sie nach den Antworten, die die Menschen auf ihre selbst verursachten Probleme zu geben versuchen.

In den 2012 erschienen „Fields Notes from a Catastrophe: Man, Nature and Climate Change“ hat sie bereits die Folgen der Klimaveränderungen in verschiedenen Regionen der Welt beschrieben, jetzt wirft sie den Blick in eine mögliche Zukunft: Was unternehmen wir, um seltene Fischarten oder sterbende Korallenriffe zu retten? Wie steht es um die technologischen Entwicklungen, auf die viele Hoffnungen beruhen, um die Welt, so wie sie ist, zu bewahren?

Es ist ein kurzes, gutes Buch geworden. Kolbert bleibt ihrem bekannten Stil treu. Sie reist um die Welt, lässt sich von Forschern und Unternehmern erzählen, was sie tun, um den Klimawandel zu bremsen, und ordnet das Ganze ein. Dadurch, dass sie zeigt und erzählt, auf der Suche nach Lösungen ist und nicht direkt anklagt, verströmt ihr Stil etwas Beruhigendes und gibt so etwas wie Hoffnung.

Das tut vor allem deshalb gut, weil dass, wovon sie spricht, eine Katastrophe ist, die viele Jahre heranschlich und nun immer mehr Fahrt aufnimmt. Bald wird der Karren gegen die Wand gefahren sein. Trotzdem versprüht sie keine Panik, wie es bei anderen Büchern über den Klimawandel durchaus der Fall ist. Man lese nur Jeff Goodells „The Water will come“ oder David Wallace-Wells „The Uninhabitable Earth“, die so anschaulich von den Folgen des Klimawandels sprechen, dass einem Angst und bange wird. Dieser „Doomism“ wird oft als hysterisch kritisiert, wir hätten noch Zeit, sagen Abwiegler und Skeptiker. Gerne verweisen sie dabei auf das technologische Innovationspotenzial des Menschen, der sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen wird. Sie vergessen jedoch, dass der Klimawandel bereits zuschlägt, nicht nur in scheinbar weit entfernten und armen Weltregionen wie Bangladesch oder Indien, sondern auch in Australien (Buschbrände), den USA (Waldbrände in Kalifornien, Hurrikane an der Golfküste) und sogar in Deutschland (Extremhitze, Trockenheit, Waldsterben). Wir haben kaum noch Zeit. Ein bisschen erinnern die Ewiggestrigen an die etwas zu optimistischen Personen, die vor 100 Jahren den damals bereits durch Messdaten offensichtlichen Klimawandel als Chance betrachteten, z.B. für die Landwirtschaft in kälteren Regionen. Über den eigenen Tellerrand blicken fällt vielen noch viel zu schwer.

Der Mensch spielt Gott

Kolbert macht sich nun auf die Suche nach diesem innovativen Menschen, und kann sich Sarkasmus nicht verkneifen: „Atmospheric warming, ocean warming, ocean acidification, sea-level rise, deglaciation, desertification, eutrophication – these are some of the by-products of our specie´s success“. Der Mensch hat auf zerstörerische Weise die Kontrolle über die Natur übernommen. Die Antwort auf die daraus entstandenen Probleme scheint „noch mehr Kontrolle“ zu heißen: „…not so much the control of nature as the control of the control of nature“. Doch während der Mensch versucht, die Kontrolle zu behalten, richtet er (oft auch unbeabsichtigt) weitere Schäden an, indem er z.B. fremde Arten einführt, um ein „Problem“ zu beheben und damit neue Probleme schafft. Kolbert demonstriert dies anhand des aus China in die USA importierten Silberkarpfen, der im Chicago River ausgesetzt worden war und das sensible ökologische Gleichgewicht der Great Lakes durcheinanderbrachte. Weiter widmet sie sich den menschlichen Bemühungen, das Mississippi-Delta vor Überflutungen zu schützen, oder Tierarten zu retten, die kurz vor dem Aussterben sind. Die größte Hybris des Menschen erscheint allerdings im geo-engineering. Darunter sind Eingriffe in das Klimasystem zu verstehen, die darauf abzielen, die Erderwärmung zu verringern oder gar zu stoppen. Dieser Versuch, das Klima mit technischen Mitteln zu beeinflussen, grenzt an Größenwahn, auch wenn es hierzu viele innovative Ideen seitens von Unternehmern und Forschern gibt. Kolbert dokumentiert einige von ihnen. Das Problem ist allerdings, dass die konkreten Folgen dieser Eingriffe nicht bekannt oder überhaupt vorhersagbar sind. Die Risiken sind einfach zu hoch. Auch Kolbert ist zunächst zwar offen und interessiert, bleibt aber insgesamt skeptisch. Allerdings: Was ist die Alternative, fragt sie.

„I want you to panic“, sagte Greta Thunberg und sie hat eigentlich Recht. Viel zu langsam tapst die Politik durch das Interessensdickicht, scheitert daran, die entscheidenden Impulse zum Umbau der Gesellschaften zu geben. Kolbert verbreitet keine Panik, aber sie vermag es wachzurütteln. Niemand schreibt so gut über die kommende Katastrophe wie Kolbert, so schrecklich das auch klingt. Ein wichtiges Buch über den Stand unserer Zukunft.

Kolbert, Elizabeth: Under a white sky – The nature of the future. 2021

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